(TRD/MID) Klingt nach Übertreibung, ist
aber keine: „Skalpell“ nennt KTM seine neue Naked Bike-Mittelklasse 790
Duke. Und die extrem wendige Österreicherin durchdringt tatsächlich mit
derartiger Präzision jede Ecke oder Kurve, dass der Vergleich mit einem
chirurgischen Werkzeug durchaus angebracht scheint. Lange Zeit gab’s
von KTM nur V2-Motoren und Einzylinder. Letztere erstaunlich kraftvoll
und zuletzt auch kultiviert, aber doch stets an den bauartbedingten
Grenzen der Physik. Der neue, „LC8c“ getaufte Reihen-Twin wuchtet
stattliche 105 PS Leistung und bärenstarke 86 Nm Drehmoment auf die
Kurbelwelle. Aber macht so ein ideales Gerät für die heiße Jagd über
kurvige Landstraßen auch im Alltag Spaß?
Typisch KTM: Der neue Zweizylinder im markentypischen
Stahl-Gitterrohrrahmen ist kein konventioneller Reihenmotor. Der
sogenannte Hubzapfenversatz um 75 Grad macht’s möglich, dass er trotz
seiner Bauart ebenso sonor bis markerschütternd brabbeln oder brüllen
kann, wie man es von einem 75-Grad-V2 der österreichischen Marke gewohnt
ist. Und: Der raue Sound des 105 PS starken Motors drückt
deckungsgleich seinen kantigen Charakter aus. Wird sein Drehzahlhunger
gestillt, belohnt er dies mit fulminantem Vortrieb, dennoch hat er auch
von unten heraus reichlich Schmalz. Allerdings gibt sich der
0,8-Liter-Twin etwas launisch beim Dahinrollen – Konstantfahrruckeln
nennt das der etwas genervte Biker.
Aber für gemütliches Dahincruisen ist diese Motor-Bike-Kombination
auch wirklich nicht geschaffen. Stattdessen genießt man unentwegt das
katapulthafte Lospreschen der KTM 790 Duke. Damit erfüllt der jüngste
Ableger der herzöglichen Linie fahraktiver Motorräder („Duke“, also
Herzog, heißen die wendige Naked Bikes der Marke seit 1994) exakt die
Erwartungen der meisten KTM-Fans. Die maximale Schubkraft von 86 Nm
Drehmoment der neuen Mittelklasse-Duke liegt zwar erst bei stolzen 8.000
U/min an. Großes Aber: Zwischen etwa 3.000 und knapp 10.000 Umdrehungen
drückt die Kraft aus exakt 799 ccm Hubraum stets mit mehr als 70 Nm
nach vorne. Über dieses relativ breite Drehzahlband hinweg glänzt der
neue Reihen-Zweizylinder also mit Kraft pur und muss dabei nur mit
megaschlanken 187 kg Leergewicht fertig werden. Zum Vergleich: Die
direkten Rivalen haben meist deutlich mehr Speck auf den Hüften (Ducati
Monster 821: 213 kg; Kawasaki Z900: 210 kg; Suzuki GSX-S 750: 214 kg).
Und selbst die relativ leichte Yamaha MT-09 bringt immerhin acht Kilo
mehr auf die Waage.
Dass die neue österreichische Mittelklasse auch nicht gerade teuer
ist, überrascht angesichts der serienmäßigen Ausstattung umso mehr.
9.790 Euro liegen deutlich unter Ducati (11.795) und Yamaha (10.375) und
sind nicht soviel teurer als Kawasaki (9.095) oder Suzuki (8.890).
Dafür glänzt die KTM 790 Duke mit einem großen Elektronik-Paket: Der von
Bosch zugelieferte Quickshifter erlaubt fast immer geschmeidige
Schaltvorgänge, ohne die serienmäßige Anti-Hopping-Kupplung betätigen zu
müssen. Vier Fahrprogramme machen’s möglich, die Maschine exakt auf die
Fähigkeiten und Vorlieben des jeweiligen Fahrers einzustellen. Der dazu
gehörige „Track“-Modus ist sogar erstmals an einer KTM serienmäßig
freigeschaltet. Dazu kommen Kurven-ABS (inklusive „Supermoto-Modus“ mit
blockierbarem Hinterrad) sowie eine schräglagenabhängige
Traktionskontrolle. Einstellen und kontrollieren lassen sich diese
komplexen Funktionen über einen großen TFT-Bildschirm (5 Zoll). Das Menü
lässt sich intuitiv bedienen, das Display ist auch bei starker
Sonneneinstrahlung gut ablesbar.
KTMs erster Reihen-Zweizylinder (nach Singles und V2-Motoren) überzeugt durch Performance,
satten Sound und moderaten Verbrauch.© Ralf Schütze / mid/ TRDmobil
Das
große und auch bei Sonneneinstrahlung gut ablesbare TFT-Display ist
mittlerweile Standard bei neuen KTM-Modellen und unterstützt die
intuitive Bedienung des Naked Bikes.
© Ralf Schütze / mid/TRDmobil
Prägend
auch für die 790 Duke ist das messerscharfe Design, das unter anderem
die
senkrecht geteilte Scheinwerfermaske auszeichnet.© Ralf Schütze / mid/TRDmobil
Auf
den Bremsbacken steht nicht etwa Brembo, sondern sachlich KTM. Sie
stammen von einem spanischen Zulieferer, glänzen jedoch mit hoher
Bremskraft und gleichzeitig sehr guter Dosierbarkeit.© Ralf Schütze / mid/TRdmobil
Die
Soziusgriffe ermöglichen keinen optimalen Halt. Umso lobenswerter ist
die
hochwertige Verarbeitung des Serienauspuffs, der noch dazu mit
sonorem Klang verwöhnt.
© Ralf Schütze / mid/ TRDmobil
Die neue 790er schließt mit ihren 77 kW/105 PS die bisherige Lücke
zwischen den 73 PS ihres Vorgängers 690 Duke (mit nur einem Zylinder)
und dem nackten Superbike 1290 Duke mit ihrem 177 PS starken V2-Motor.
Dass KTMs Neue künftig kräftig im Kampf um die beliebte Mittelklasse
mitspielen wird, liegt auf der Hand, denn wesentliche Stärken entdeckt
man zahlreich und wirkliche Schwächen kann man ihr kaum anlasten. Zwar
konnte KTM den relativ moderaten Preis nur realisieren, indem an manchen
Stellen nicht gerade die denkbar edelsten Komponenten Verwendung
fanden. So greifen Stopper von einem spanischen Zulieferer in die
Bremsscheiben, statt die des italienischen Spezialisten Brembo. Sie
schlagen sich aber ebenso gut wie die Serienreifen von KTMs
taiwanesischem Partner Maxxis.
Ebenso erfreulich: Bis knapp 1,90 Meter Körpergröße hat man auf der
790er bequem Platz, dank 825 mm Sitzhöhe und 1.475 mm Radstand. Über den
breiten Lenker hat man das Naked Bike immer gut im Griff und kann es
spielerisch um scharfe Ecken dirigieren. Trotz dieser Agilität fühlt man
sich im Sattel der 790 Duke auch in schnellen Landstraßenkurven sicher
und wohl. Und selbst hohes Autobahntempo bringt die Österreicherin
hinter sich, ohne etwa mit Hochgeschwindigkeits-Pendeln zu nerven.
Gewöhnungsbedürftig ist anfangs nur, dass sie in jede Schräglage
geradezu hineinfällt. Aber auch daran gewöhnt sich der frischgebackene
Duke-Fahrer sehr schnell und genießt am Ende die Leichtigkeit des
Kurvenfahrens.
So extrem sich die KZM 790 Duke in Sachen Design und Fahrverhalten
auch gibt, so sparsam geht sie erstaunlicherweise mit Sprit um: Wir
kamen im Mix aus Stadt, Landstraße und Autobahn mit 3,7 l/100 km aus –
zwar inklusive gemütlichem Cruisen, aber andererseits über weite
Strecken zu zweit. Dabei stellte sich allerdings heraus: Ein
Duke-Besitzer wird die einsame Fahrt bevorzugen, denn ein Beifahrer
sitzt relativ hoch und muss sich wegen der nicht gerade optimalen Griffe
am Fahrer festhalten oder beim Bremsen am Tank abstützen. Der ist
übrigens wegen des niedrigen Verbrauchs und trotz nur 14 Liter Volumen
immerhin gut für rund 350 km Reichweite – mehr als genug für ein derart
scharfes Naked Bike, das meist auf kurzen, aber intensiven Ausfahrten
bewegt wird und dabei jede Menge Spaß macht.
Technische Daten KTM 790 Duke:
Mittelklasse-Naked Bike mit flüssigkeitsgekühltem
Viertakt-Zweizylinder-Reihenmotor, Hubraum: 799 ccm, max. Leistung: 77
kW/105 PS bei 9.000 U/min (wahlweise 35 kW/48 PS für Führerscheinklasse
A2), max. Drehmoment: 86 Nm bei 8.000 U/min, Sechsganggetriebe, Kette.
Stahl-Gitterohrrahmen, vorn Upside-Down-Gabel mit 43 mm
Tauchrohrdurchmesser, hinten Aluminium-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein
mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, vorn Doppelscheibenbremse,
Durchmesser 300 mm, Vier-Kolben-Festsättel, hinten Einscheibenbremse,
Durchmesser 240 mm, Ein-Kolben Schwimmsattel, Traktionskontrolle,
Kurven-ABS.
Reifen vorn: 120/70 ZR17, hinten: 180/55 ZR17,
Sitzhöhe: 825 mm, Tankvolumen: 14 l, Radstand: 1.475 mm, Leergewicht:
187 kg, zul. Gesamtgewicht: 430 kg, Beschleunigung 0-100 km/h: 3,3 s,
Vmax: 235 km/h, WMTC-Normverbrauch kombiniert: 4,0 l/100 km, Preis:
9.790 Euro.
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