(TRD/MID) Will man als Motorradfahrer
die Blicke auf sich ziehen, so greift man am besten zu einer laut
bollernden Harley oder einem noch lauter kreischenden Supersportler. Wer
allerdings die erschwingliche und entspannte Art des Posens bevorzugt,
der lenkt die Blicke aller Passanten mit einem klassisch tuckernden
Einzylinder-Bike auf sich: Die Royal Enfield Classic 500 EFI ist ein
echter Hingucker, denn fast jeder hält sie zunächst für einen perfekt
restaurierten Oldtimer. Eckdaten: 27 PS, die für 5.990 Euro den Besitzer
wechseln, und das mit moderner Technik samt ABS und Einspritzung. Mehr
Motorrad braucht man nicht wirklich, oder? Unser Test liefert die
Antwort.
Faszinierend, wieviel Fahrspaß man mit nur 27 PS haben kann, wenn man sich auf die eingeschränkte
Spitzenleistung einlässt.© Ralf Schütze / mid /TRDzweirad
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Die Classic Squadron Blue gibt es mit Einzelsitz oder – wie von uns
gefahren – für Soziusbetrieb.
Allerdings sind sowohl Komfort, als auch
Leistung für diesen Einsatz sehr begrenzt.
© Ralf Schütze / mid/TRDzweirad
Gute
alte Zeit im Cockpit. Statt Digitalisierung herrscht bei Royal Enfield
analoge Schlichtheit.
Die Kontrolllämpchen sind kaum zu erkennen, aber
auf Dauer vermisst man nichts.
© Ralf Schütze / mid/trdzweirad
Ein klassischer Rundscheinwerfer im Blechgehäuse sorgt auch nachts für Durchblick.
© Ralf Schütze / mid /TRDzweirad
Elektrik und Bordwerkzeug sind im linken blechernen Seitenkasten untergebracht. Zum Werkzeug gehören auch Reifen-Montierhebel.© Ralf Schütze / mid /TRDzweirad
Da steht sie vor mir: Die Royal Enfield wartet darauf, dass ich
ihren 0,5-Liter-Einzylinder per Knopfdruck elektrisch anlasse oder per
Kickstarter und Muskelkraft antrete. Ich entscheide mich lieber für den
vertrauten E-Starter. Doch damit hat die Auswahl ein Ende, denn ab
sofort ist unausweichlich entspanntes Fahren angesagt. Die in Indien
produzierte Classic 500 EFI ist ein Motorrad, wie es fernab jeglicher
Leistungs-Hysterie und ohne jeglichen Hightech-Wahn völlig ausreicht:
Ein Zylinder, ein Tank, zwei Sitze, zwei Räder – das genügt im Grunde
genommen.
Das klassische Einzelinstrument ist in ein blechernes
Scheinwerfergehäuse integriert. Sieht nach wenig aus, reicht aber
ebenfalls. Dank eines Zeigers sieht man jederzeit, wie schnell – oder
langsam – man unterwegs ist. Die Drehzahl ist deutlich hörbar, je nach
Stärke der Vibrationen spürt man sie auch. Ein Warnlämpchen zeigt an,
dass der Tank fast leer ist. Das wirkt erst arg spartanisch, stellt sich
aber als Wohltat heraus gegenüber Daueranzeigen einer hochgerechneten
Restreichweite, von der man ohnehin meist weit entfernt ist. All das
gehört zu einem Lernprozess samt Umdenken. Nach unzähligen Bikes mit bis
zu 200 PS Leistung sitze ich nun im Sattel einer 27 PS-Maschine und
komme auch voran. Noch dazu mit Genuss. Der besteht im bewussten,
eigentlichen Fahren: Kuppeln, Schalten, Gasgeben, Tacho im Auge
behalten. Und so lange kein Lämpchen aufleuchtet: Genießen, dass
offenbar alles in Ordnung ist.
Kaum einer kennt die Motorräder aus Indien so gut wie Bernhard
Peintner. Mit seiner Firma „Iwan Bikes“ in Pfaffenhofen nördlich von
München hat er jahrzehntelange Erfahrung als Händler der Marke. Zur
Classic 500 EFI meint er: „Sie braucht ihre Zeit. Und die gibst Du ihr
gerne.“ Natürlich weiß er auch, welche Art von Motorradfahrer auf dieses
entschleunigte Klassik-Bike abfährt. Die Auskunft klingt überraschend:
„Es sind meist junge Männer Mitte 20. Die Enfield ist ihr einziges
Motorrad. Sie genießen den Kultstatus der Marke. Manchmal ist schon der
Opa Royal Enfield gefahren.“ Man muss aber offenbar nicht familiär
geprägt sein, um als junger Biker auf Royal Enfield abzufahren. Sogar
ausgesprochene „Hipster“ gehören laut Peintner zu den Classic
500-Fahrern – passend zum aktuellen Klassik-Trend.
Das macht natürlich neugierig: So nehme ich Platz auf dem 800 mm
hohen Schwingsattel einer zweisitzigen Royal Enfield Classic 500 EFI
Squadron Blue. Die Tarnfarbe stammt von Luftstreitkräften aus aller
Welt. So etwas Militärisches ist an sich nicht jedermanns Sache, aber
das seidenmatte Hellblau steht der klassischen Schönheit mit ihren
vielen Chromteilen einfach sehr gut. So versuchen wir, die knapp 6.000
Euro teure Maschine vorurteilsfrei einzuordnen. Schnell stellt sich
heraus: Überschaubare 20,3 kW/27,2 und 41,3 Nm Drehmoment können
tatsächlich Spaß machen.
Mit 195 Kilo ist die Classic nach allgemeinem Maßstab nicht schwer.
Allerdings müssen 27,2 PS damit erstmal fertig werden. Die Royal Enfield
bewältigt diese Herausforderung, indem sie Ruhe ausstrahlt. Auf dem so
klassisch britisch aussehenden Motorrad zählen nicht Leistungs- und
Beschleunigungswerte. Vielmehr freut sich der Pilot, dass er nach einer
schier unendlichen Weile auch mal knapp 130 km/h fahren kann. Aber das
typische Enfield-Tempo bewegt sich eher um die 80 bis 90 km/h auf der
Landstraße. Kein Limit wird unbedingt ausgereizt, denn: Die
überschaubare Bremswirkung der zwei Einzelscheiben zwingt zu
vorausschauendem Fahren und Verzögern – genau passend zur relaxten Art
der Fortbewegung, an die man sich mit der Royal Enfield Classic 500 EFI
mehr und mehr gewöhnt.
„Entschleunigung“ verdrängt jeden Gedanken an PS, km/h und
Leistungsgewicht. Der Körper hängt auf der unverkleideten Maschine auch
bei gemütlichem Tempo voll im Fahrtwind und saugt diesen förmlich auf.
Der Dreh am Gasgriff erfolgt nicht aus Beschleunigungs-Gier, sondern
lediglich, um mal ein kleines Schippchen draufzulegen. Klar: Eine
Leistungsspritze von rund 15 PS würde auf der Royal Enfield Classic 500
EFI sowohl den Fahrspaß, als auch die Sicherheit beim Überholen erhöhen –
und dem Charme keinen Abbruch tun. Aber das Hier und Jetzt verdrängt
jegliches Lamentieren im Konjunktiv. Stattdessen lasse ich mich lieber
auf das ein, was zur Verfügung steht: 27,2 PS bei 5.250 U/min.
Die Royal Enfield Classic macht Laune. Esprit und Technik der seit
1901 produzierten Bikes (erst in England, seit 1970 nur noch in Indien)
stimmen einfach, auch auf diesem niedrigen Leistungsniveau. Kleine
Fehler wie der manchmal ungut schwingende Sattel mit seinem rutschigen
Bezug können daran nichts ändern. Auch nicht die eigenwillige
Sitzposition mit weit vorne platzierten, starren Fußrasten und einem
relativ breiten Tank. Trotz seiner ausladenden Dimension fasst der nur
13,5 Liter. Aber: Die Herstellerangabe von 2,9 l/100 km kombiniertem
Verbrauch erweist sich als praxisgerecht. Und so reicht eine Tankfüllung
für etwa 450 Kilometer Fahrt. Eine derartige Reichweite wirkt
zusätzlich entspannend. Wer sich auf all dies einlässt, kommt
tatsächlich mit 27,2 PS gut über alle Straßen.
Teststeno Royal Enfield Classic 500 EFI:
Klassik-Bike mit luftgekühltem Viertakt-Einzylinder-Motor, Hubraum:
499 ccm, max. Leistung: 20,3 kW/27,2 PS bei 5.950 U/min, max.
Drehmoment: 86 Nm bei 8.000 U/min, 41,3 Nm bei 4.000 U/min,
Fünfganggetriebe, Kette.
Einschleifen-Stahlrohrrahmen, vorn hydraulische Teleskopgabel mit 35
mm Tauchrohrdurchmesser, hinten Stahlschwinge mit zwei
Gasdruck-Federbeinen, vorn Einscheibenbremse, Durchmesser 280 mm, hinten
Einscheibenbremse, Durchmesser 240 mm, ABS.
Reifen vorn 90/90-19, hinten 110/80-18,
Radstand 1370 mm, Tankinhalt 13,5 Liter, Sitzhöhe 800 mm, Gewicht
fahrfertig 195 kg, zul. Gesamtgewicht: 365 kg. Höchstgeschwindigkeit 128
km/h, 0-100 km/h k.A., Kraftstoffverbrauch kombiniert: 2,9 l/100 km,
CO2-Emission: 70 g/km. Preis: 5.990 Euro.
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